25 Mai 2021

Eigenmacht – die Krise als Chance zur Selbstfindung


Jeder Mensch ist dazu bestimmt, zu leuchten!

Unsere tiefgreifendste Angst ist nicht, dass wir ungenügend sind,
unsere tiefgreifendste Angst ist, über das Messbare hinaus kraftvoll zu sein.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die uns am meisten Angst macht.
Wir fragen uns, wer ich bin, mich brillant, großartig, talentiert, phantastisch zu nennen?
Aber wer bist Du, Dich nicht so zu nennen? Du bist ein Kind Gottes.
Dich selbst klein zu halten, dient nicht der Welt. Es ist nichts Erleuchtetes daran,
sich so klein zu machen, dass andere um Dich herum sich nicht unsicher fühlen.
Wir sind alle bestimmt, zu leuchten, wie es die Kinder tun.
Marianne Williamson

In unsicheren herausfordernden Zeiten ist eine zentrale Frage für die Menschen, inwieweit sie selber ihr Leben gestalten und steuern können und inwieweit sie sich als Spielball von gesellschaftlichen Kräften sehen. Es geht dabei um das Spannungsfeld von Macht und Ohnmacht im Erleben der Menschen.

Eigenmacht ist der Glaube und das Potenzial des Menschen, selber Schöpfer und Gestalter seines Lebens, seiner Wirklichkeit zu sein. Welche Macht hat ein Mensch, seine Wirklichkeit selber zu bewirken?

Im Konzept der Selbstwirksamkeit geht die Psychologie davon aus, dass die Annahme und Selbsterfahrung eines Menschen, dass er aus eigener Kraft etwas in seiner Umwelt bewirken kann, gut für sein psychisches Wohlbefinden und Selbstvertrauen ist. Doch der psychologische Ansatz der Selbstwirksamkeit, der Menschen stärken soll, versäumt, nach der persönlichen Wahrheit eines Menschen zu fragen. Nehmen wir als Beispiel einen Menschen, der wegen der Corona-Nachrichten aktiv und diszipliniert eine Maske trägt, um sich und andere vor dem Virus zu schützen – so sein Glaube. Subjektiv kann dieser Mensch sich als wirksam in der Gestaltung seines Lebens und im aktiven Schutz der Gesundheit erleben. Doch entspricht das Tragen einer Gesichtsmaske tatsächlich seiner persönlichen Wahrheit oder hat er sich in sozialer Anpassung mit einer Sichtweise und Regelung der herrschenden Krisenpolitik identifiziert? Fühlt er möglicherweise ein inneres Unbehagen beim Tragen der Maske, welches er sich gar nicht gestattet, weil es Konsequenzen für sein Bewusstsein und sein Leben haben könnte, wenn er die herrschenden Maßnahmen kritisch hinterfragen würde?

Nur wenn ein Mensch selbstwirksam handelt und dabei seiner persönlichen Wahrheit folgt, agiert er aus seiner inneren authentischen Kraft und Führung und entfaltet seine Eigenmacht, indem er sich selber ermächtigt. Das schöne englische Wort für Selbstermächtigung ist Self-Empowerment. Dagegen besteht ohne ein Gespür für die eigene persönliche Wahrheit in einer wichtigen Sache die Gefahr, sich Illusionen von Autonomie (Käthe Meyer-Drawe) hinzugeben, z. B. wenn der Sohn zweier Ärzte sich scheinbar aus freien Stücken für ein Medizinstudium entscheidet, aber eben ohne eine tiefere ehrliche Reflexion familiärer Prägungen und ohne sich tiefer auf die Frage einzulassen, welchen Weg er unabhängig von seinen Eltern als seinen eigenen Weg wählen würde.

Unsere persönliche Eigenmacht zu realisieren, bedeutet uns in jedem Moment gewahr zu sein, dass wir frei sind bzw. uns als freie Menschen in unserem Handeln mit der Richtschnur unserer persönlichen Wahrheit entscheiden können – JETZT!

DU kannst deinen Job kündigen und das tun, wofür dein Herz wirklich schlägt!

DU kannst dich aus deiner schon lange nicht mehr glücklichen Beziehung verabschieden und so leben, wie es dir entspricht!

DU kannst in das Land reisen, in das du schon seit Jahren reisen möchtest!

DU kannst das innere Elend, die innere Wüste und Ohnmacht deiner Kindheit hinter dir lassen und dich in jedem Moment, jeder Situation bewusst für das Leben, für Lebendigkeit und Zuversicht entscheiden!

Diese befreienden Schritte zu tun, könnte einfacher sein als dein Verstand und deine Angst dir zweiflerisch einflüstern. Doch leicht sind solche Veränderungsschritte nicht, denn die meisten Menschen befinden sich in mentalen und emotionalen Abhängigkeiten, in denen sie seit Jahren in einer relativ bequemen Komfortzone ungelebten Lebens leben: Angenommene soziale Rollen und Identifikationen in Beruf und Familie gehen einher mit der Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung durch die Anderen; das eigene gewohnte Ego-Selbstbild scheut die Angst vor dem Unbekannten und zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis über das Leben aus. So ist das Leben der meisten Menschen von einer Furcht vor der Freiheit (Erich Fromm) gekennzeichnet.

Doch die Krise wirft uns ein Stück weit aus der routinierten Komfortzone unseres funktionierenden, doch unerfüllten Alltagslebens. Bisher haben wir mehr gesellschaftlich funktioniert als wirklich gelebt. Nun haben wir in der Krise als Erschütterung des Gewohnten, des business as usual, die Chance zu erkennen, wie sehr wir bisher Gefangene unserer Lebenskonstruktionen waren und dass es immer, in jedem Moment, die Freiheit der Entscheidung für ein anderes Leben gibt, ein Leben, das wahrhaft unser Leben ist.

Wir brauchen den Mut, tiefer hinzuschauen, was von uns überbleibt, wenn wir kritisch hinter die Fassade unserer bisherigen Identitätsmasken schauen und unsere liebgewonnenen Identifikationen als Konstrukte eines künstlichen Selbstbildes hinterfragen: Wer bin ich ohne meinen anerkannten Beruf, meinen Status, mein Geld, meine attraktive Partnerin, mein Auto, mein tolles Mountainbike, meine Familie?

Um unsere natürliche Eigenmacht zu entdecken, müssen wir uns unseren Ängsten stellen und ein „Leben“ narzisstischer Kompensationen und Bestätigungen (beruflicher Erfolg, Rollenidentifikationen, Essen, „Traumanspruchskinder“, Medien-/Trink-/Sex- und Computersucht) hinterfragen, dessen Triebkraft eine tiefsitzende innere Leere und Verunsicherung ist, die in vielen von uns ist, weil wir die tiefere Verbindung zu uns, zu unserem Kern, schon früh verloren haben.

Wir haben schon in der Kindheit verlernt, uns selbst mit unseren wahren Gefühlen, also mit unserer inneren Wahrheit, zu fühlen und in der Welt auszudrücken, denn wir wurden darin nicht wahrgenommen und gefördert. Stattdessen wurden wir von den Eltern und anderen Erziehungspersonen konditioniert, uns an den Erwartungen der Anderen zu orientieren. Diese Konditionierung erfolgte mithilfe von Erziehungs- und Bestätigungsmustern von Lob und Anerkennung. In diesen Mustern funktionieren die meisten Menschen auch heute als sogenannte Erwachsene in der Leistungsgesellschaft in Beruf, Familie und Partnerschaft weiter. Sie versuchen alles, um den Erwartungen der Anderen gerecht zu werden und zu entsprechen und fragen sich nie tiefer, ob dies wirklich das Leben ist, das ihnen entspricht und ihnen Erfüllung bringt. Diese Konditionierungen unserer Gefühle und unseres Verhaltens als regelhafte erwartbare Reaktionsmuster geben uns eine scheinbare Sicherheit und einen gewissen Halt in unserem Leben, den wir in uns selbst schmerzlich vermissen. Denn wenn wir ehrlich in uns hineinschauen würden, fänden viele von uns eine innere Leere, eine innere Halt- und Orientierungslosigkeit.

Wer wir wirklich sind, das wissen wir gar nicht, weil wir eine echte Verbindung mit uns schon früher verloren haben. Der Psychoanalytiker und Humanist Arno Gruen nannte diesen Prozess der Entfremdung und Distanzierung von uns selbst treffend den „Verrat am Selbst“. Dieser Verrat an sich selbst geschieht durch die Auslöschung und Abspaltung unserer echten Gefühle und Empfindungen und ihren Ersatz durch Kognitionen und Abstraktionen, und durch gemachte falsche Gefühle und Gedankenmuster in gesellschaftlichen Scheinidentitäten.

Sich zu fühlen, sich auszuhalten und zu (er-)tragen mit dem, was jetzt wirklich ist, ist also der Königsweg zur Wiedergewinnung des eigenen Selbst und damit zur Eigenmacht eines Menschen, die Grundlage einer echten Eigenständigkeit und eines echten Selbstvertrauens ist. Unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Sehnsucht, unsere Freude, unsere Unsicherheit, unsere Sensibilität wieder zuzulassen und bewusst zu fühlen, belebt und stärkt die lange brachliegende Verbindung zu uns selbst. Dabei geht es darum, unserer persönlichen Wahrheit wieder Raum zu geben, auf unsere innere Stimme zu hören, ihr zu vertrauen und in unserem Leben zu folgen – statt automatisch das zu tun, was die Anderen richtig finden und von uns erwarten.

„Wer bin ich und was erfüllt mich wirklich?!“ Welcher Bürger der Leistungs- und Konsumgesellschaft kann darauf heutzutage eine authentische und tiefe persönliche Antwort geben? Wir leben viele Jahre in Identitätsmasken und Rollen, durch die wir soziale Anerkennung und Sicherheit bekommen. Doch was bleibt von uns über, wenn diese wegfallen? Die Coronakrise lässt uns dies zumindest erahnen, was für viele Menschen eine psychische Anstrengung und zugleich eine große Chance ist – sofern sie diese Möglichkeit, sich selber zu entdecken, beherzt ergreifen!

Eigenmacht kann sich entfalten, wenn wir den Grund unserer Existenz in uns selbst finden, wenn wir nach Hause kommen in einer tragenden Verbindung mit uns selbst. Es geht darum, im ehrlichen Einklang mit sich in jeder Situation der eigenen persönlichen Wahrheit zu folgen – statt in der Außenorientierung, in der Anpassung an andere Menschen, an Gruppen und gesellschaftliche Systeme perfekt zu funktionieren – der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz spricht in diesem Zusammenhang von Normopathie.

Das Thema der Eigenmacht der Menschen hat eine gesellschaftliche Brisanz, denn würden viele Bürger*innen ihre Eigenmacht erkennen, würden sie ihr Leben, ihre Gesundheit, ihren Erfolg etc. eigenmächtig, also als Regisseur ihres Lebensfilms, realisieren; die gesellschaftlichen Systeme der Angst und Kontrolle dagegen verlören ihre Macht. Und dies ist nicht gewollt, vor allem von denen nicht, die von diesen Systemen wirtschaftlich und politisch profitieren.

Doch um gute innovative nachhaltige Lösungen für die gesellschaftlichen Krisen bzw. Herausforderungen der letzten Jahre (Klimakrise, Finanzkrise, Digitalisierung, Pandemie) zu finden, die den Menschen dienen, brauchen wir unbedingt Menschen, die mit ihrer Eigenmacht, ihrer Kreativität und ihrer Menschlichkeit verbunden sind; systemkonforme Technokraten, die nur mit Zahlen als Fetisch denken und handeln, sind hierfür unzureichend!

Doch bei aller gesellschaftlichen Brisanz hat die Eigenmacht des Menschen ein göttliches Fundament: Der Mensch als Gottes Kind, Gottes Wesen, als Ebenbild Gottes hat wie Gott die Macht, eine (andere) Welt zu erschaffen; die Würde und (potenzielle) Größe des Menschen und sein tiefes inneres Wissen zeugen von seiner Göttlichkeit.

Menschliche Eigenmacht beginnt in jeder Millisekunde in uns selbst, mit jedem Herzschlag, jeder aufkeimenden Idee unseres Geistes, jeder Intention, mit der wir die Welt berühren wollen… Eigenmacht bedeutet, das Göttliche im Menschen, das, was ihn vom Tier unterscheidet, zu realisieren. Eigenmacht bedeutet, das wahre menschliche Potenzial zu erkennen und in die Welt zu bringen – JETZT!

Eigenmacht ist der Mut zu sich selbst.

Die Eigenmacht der Menschen fördern wir also, indem wir sie ermutigen, ihr EIGENES zu tun und die Kraft ihrer Liebe zum Leben und den Menschen und vor allem zu sich selbst(!) zu entwickeln.

Es geht um den Mut jedes Menschen als Geschöpf Gottes, als Wunderwerk des Lebens selber zu fühlen, was richtig ist und in Treue zu sich dem eigenen Gewissen zu folgen.

Es geht um den Mut, selber in verschiedenen Informationsquellen zu recherchieren und sich im Selberdenken ein eigenes Urteil, eine eigene Meinung zur Krisenpolitik zu bilden – auch wenn diese sich von der eigenen sozialen Gruppe unterscheidet und man möglicherweise allein dasteht.

Es geht um den Mut, in Treue zu sich und zur eigenen Wahrheit anders zu sein und anders zu denken als andere Menschen, und damit auch Konflikte und Reibungen zu riskieren.

Es geht um den Mut, die eigene Freude, Lust und Spontaneität im Kontakt mit sich und anderen Menschen zu leben – auch oder gerade in Coronazeiten.

Es geht um den Mut für die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Mitmenschen in Respekt und Würde das zu tun, was einem selbst richtig und menschlich erscheint.

Es geht um den Mut, der eigenen Version eines guten Lebens zu vertrauen und zu folgen, auch und gerade in schwierigen Zeiten.

Es geht um den Mut, darin zu vertrauen, dass alles gut wird, dass das Leben es gut mit uns meint, und mit Tatkraft das Möglichste dafür zu tun.

Es geht um den Mut, wirkliche 100% Eigenverantwortung für sein Leben, für seine Existenz und für seine Handlungen zu übernehmen, also diese Verantwortung für sich bewusst und aus vollem Herzen anzunehmen.

Es geht um den Mut, Halt und Sicherheit nicht mehr in anderen Menschen, in der herrschenden Meinung des Mainstream, der vor allem über die Massenmedien eine normative Macht entfaltet, in für sich wichtigen sozialen Gruppen, in seinen Liebespartnern oder allgemein gesagt im Außen zu suchen, sondern diesen tiefen Halt IN UNS und IM LEBEN selbst zu finden.

Nur auf diesem nicht leichten, doch einfachen klaren Weg ZU UNS SELBST können wir eine wirkliche echte Eigenständigkeit in Leben, Denken und Urteilen, und eine wahre Erfüllung des eigenen Lebens finden…

Literatur

Erich Fromm (1941): Die Furcht vor der Freiheit.

Arno Gruen (1986): Der Verrat am Selbst.

Hans-Joachim Maaz (2017): Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normapathischen Gesellschaft.

Käthe Meyer-Drawe (1990): Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich.

Quelle: Rudlof, M. (2021), Eigenmacht – die Krise als Chance zur Selbstfindung, Dresden, Institut für ganzheitliche Entwicklung und Bewusstsein (IFEB)


Matthias Rudlof

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